Sonntag, 13. Februar 2011

Der gute Bürger wird zum Würger

Der gute Bürger holt das Couvert mit leichtem Grauen aus dem Briefkasten. Der gute Bürger platziert das Couvert mitten auf dem Esstisch, wo es vorwurfsvoll zwei Tage liegt. Kaum aber ist der Sonntagabend angebrochen und damit alle Wochenendaufgaben abgeschlossen, öffnet der gute Bürger das Couvert. Er nimmt die Steuererklärung (geschätzte zehn Seiten inklusive Einzahlungsschein mit Platz für ungefähr einem mehrstelligen Millionenbetrag) und breitet sie auf dem Wohnzimmerboden aus. Fein säuberlich. Die Anleitung, die in diesem Falle Wegeleitung heisst und leider nichts mit Wegweisung zu tun hat, blättert der gute Bürger natürlich durch. Leider hat sich gegenüber dem Vorjahr ausser dem Titelbild nichts verändert: Sie bleibt unbrauchbar und umgeht gekonnt die wirklich wichtigen Fragen.
Wohlgemut, weil er sich so rasch dazu aufgerafft hat, beginnt der gute Bürger, die wesentlichen Zahlen einzufüllen. Zögerlich macht er dies, bei jeder zweiten Zahl könnte er theoretisch auch eine andere hinschreiben.
Zu guter Letzt nimmt er sich das Wertschriftenverzeichnis vor und erlebt eine Überraschung. Im Gegensatz zum Vorjahr, als noch Platz war für rund zwanzig Konten, herrscht jetzt ein Gedränge wie in einem Pendlerzug. Gerade mal acht (in Zahlen: 8) verschiede Konten dürfte der gute Bürger heuer besitzen. Dabei ist der gute Bürger doch auch ein guter Bankkunde! Und hat also ein Mieterkautionkonto, rund sechs Spar- und Pirvatkonten bei diversen Geldinstituten, Vorsorgesäulekonten, Aktien und Strategiefonds und papipapo. Alles empfohlen und angeraten.
Gut, ein weiteres Wertschriftenverzeichnis muss her. Das geht heute theroretisch per Mail. Leider, leider ist das Formular auf der Homepage des Steueramtes praktisch aber falsch programmiert. Zwar verlangt es die Angabe von PLZ/Ort, aber! Platz ist nur für sechs Zeichen. So wird das Antragsformular nicht akzeptiert, nein! Zurück an den Gutbürger!
Und was macht dieser? Genau: Er holt sein Sturmgewehr aus dem Kasten, das er seit heute mit gutem Gewissen immer noch dort aufbewahren kann, und
wünscht, er wäre ein bisschen mehr Rebell und weniger gut.
(Natürlich hat der Gutbürger kein Gewehr. Aber theoretisch hätte es ja sein können.)

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